Rennen

1. Etappe (Peakbreak 2008)

Graz – St. Veit an der Glan

Es ist Sonntag. Der Wecker meldet sich um kurz vor 6:00 Uhr. Und das wird auch für die ganze kommende Woche so bleiben, denn der Start erfolgt bis auf die 3. Etappe über den Großglockner immer um 9:00 Uhr. Über den Großglockner soll es noch früher losgehen. Na toll, denke ich mir in diesem Moment. Eigentlich klingt ein Start um 9:00 Uhr nicht so dramatisch, aber einerseits will ich ja nicht verschlafen am Start stehen und andererseits ist da ja noch das Frühstück! Das Frühstück ist nicht zu unterschätzen, denn hier heisst es: „Essen bis zum Anschlag“. Aber natürlich nicht über den Anschlag, denn schliesslich will ich danach ja noch locker, leicht und flockig am Start stehen. Welch ein Widerspruch!

Das mit dem Aufstehen ist heute schon mal kein Problem…leider, denn ich habe die Nacht kaum geschlafen. Typisch für mich, denn ich bin oft vor einem Rennen recht nervös und kann dann kaum oder gar nicht schlafen. Früher hätte mich das beunruhigt, aber mittlerweile weiß ich aus Erfahrung, dass eine schlaflose Nacht vor einem Rennen zwar unangenehm ist, aber nicht zu tragisch. Im Wettkampf ist mein ganzer Körper – Schlaf hin oder her – in Alarmbereitschaft und ich bin so oder so hellwach. Für einen eintägigen Wettkampf komme ich mit einer schlaflosen Nacht gut klar.

Die folgenden Abläufe werden dann in den kommenden Tagen zur Routine: Duschen: extra lang, extra heiss und extra kalt zum wach werden, Koffer packen, kurzer Rad-Check, Auffüllen der Trinkflaschen, Proviant und Zubehör für Trikotaschen herrichten. Tolles Leben… für 7 Tage ist das ja ganz nett, aber als Profi jeden Tag … naja, muss nicht sein. Und zudem haben die ja auch keine Schönwetter-Garantie. Der Punkt mit dem Proviant bereitet mir am ersten Tag noch etwas Kopfschmerzen. Was gibt es jetzt unterwegs genau und vor allem wie oft? Zwei stationäre Verpflegungspunkte sind vorhanden, soviel steht fest, aber reicht mir das? Brauche ich schon vorher was und wie sieht es mit der Verpflegung auf der Strecke aus? Keine Ahnung, denke ich mir und beschließe am ersten Tag Vorsicht walten zu lassen. 2-mal Powerbar in der Tasche, ein etwas bekömmlicherer Früchteriegel und eine Banane. Ich bin nämlich mal gespannt wie das in der Rennsituation mit so wenigen Leuten an den Verpflegungspunkten abläuft. Daher auch die Vorsicht, denn genau hier vermute ich den Knackpunkt bei einem Rennen mit so wenigen Teilnehmern, im Vergleich zu einem Radmarathon mit ein paar Tausend Teilnehmern. Wenn ich hier in einer kleinen Gruppe ankomme und zu lange brauche, werde ich vielleicht abgehängt. Im Nachhinein kann ich sagen: kein Problem, aber wenn man die Mitfahrer nicht kennt ist das natürlich a priori schwer einzuschätzen.

Die anschließende Sache mit dem Frühstück läuft dann nicht ganz so reibungslos. Der Besitzer des Sporthotels ist wohl mit so früh aufstehenden Sportlern – und das auch noch am Sonntag – etwas überfordert. Die Rezeption ist dicht und das Frühstücksbüffet ist auch noch nicht ganz präsent. Extrem düstere Erinnerungen an ein Alpenbrevet im Jahr 2005 mit vorbereiteten, jedoch geplünderten Frühstückstischen und noch selig schlafendem Hotelpersonal tauchen langsam auf. Die aufkommende Panik verflüchtigt sich Gott sei Dank sehr schnell. Die Sache mit den fehlenden Semmeln lässt sich am Sonntag um 7 Uhr leider nicht mehr lösen, aber immerhin kommt ein passables Frühstück mit Toast dann doch noch zustande.

Das allereinfachste aber ist glücklicherweise – und das auch für den Rest der Woche mit einer kleinen Ausnahme– die Sache mit der Kleidungswahl. Kurze Hose, kurzes Trikot – Basta! Das Wetter war toll angesagt und es ist jetzt toll: die Sonne scheint, ein fast wolkenloser Himmel strahlt über Graz. Noch eine Windjacke in die Trikotasche und das reicht dann auch.

Jetzt aber schnell ab zum Start. Die Sache haben die Organisatoren von Peakbreak echt gut gelöst. Man kann mit dem Auto direkt bis zur Startlinie fahren und da den (doch etwas schweren) Koffer direkt am LKW abgeben. Erst dann geht es weiter mit dem Auto zum Parkhaus, das dann doch mindestens einen Kilometer entfernt ist. Auto abstellen und los geht es. Vom Parkhaus kommt man entspannt mit dem Rad zum Start – eine gute Gelegenheit sich schon mal etwas warm zu fahren. So gut, wie die Organisation am Start bei dieser ersten Auflage von Peakbreak auch funktioniert haben mag: man sollte nicht vergessen, dass es 2008 nur 31 Teilnehmer waren. Ich wünsche Tom und seiner Peakbreak Crew von ganzem Herzen, dass Peakbreak im kommenden Jahr ein echter Erfolg wird. Ein Erfolg mit vielen Teilnehmern. Aber das mit der Kofferabgabe am Start wäre dann einer der Punkte, die es zu bedenken gilt: mit 100 bis 200 Teilnehmern wird es am ersten Tag am Start echt turbulent zugehen, wenn fast jeder mit dem Auto kommt.

Am Start dann steigt meine Nervosität zu meiner eigenen Überraschung nur geringfügig am. Mangelnde Nervosität ist aber für mich glücklicherweise einer der positiven Effekte einer schlaflosen Nacht. Meine grösste Sorge gilt wie so oft meinem Hinterreifen und der Frage ob der Reifendruck optimal ist oder nicht. Das kann dann schon mal zur Macke ausreifen, so wie auch dieses Mal. Ständig kontrolliere ich durch drücken auf den Mantel. Passt…passt nicht…passt…Dann doch noch einmal Luft auslassen und nachpumpen um die Kontrolle zu haben: 8 bar – bei dem Wetter ist das top.

Interessant ist aber in der Stunde vor den Startschuss vor allem die Stimmung und das Treiben rund um die Startlinie. Während einige Fahrer sich von unserem Mechaniker Eric noch den letzten Schliff am Rennrad geben lassen und andere ähnlich hektisch wie ich den Luftdruck kontrollieren, führen andere ein lockeres Gespräch mit ihren „Konkurrenten“ oder sitzen gar auf der Veranda vom Rudolf Brau und schlürfen noch entspannt einen Kaffee. Tom diskutiert noch mit einem Mitglied des Streckensicherungsteams cbca– ob angespannt oder entspannt, kann ich nicht so ganz erraten. Aus dem Gefühl heraus würde ich eher sagen auch Tom ist etwas angespannt – Immerhin ist so ein Rennen bei nicht abgesperrten Straßen nicht ganz einfach zu organisieren und immerhin ist es auch Toms erstes Peakbreak! Um es kurz vorweg zu nehmen: die Jungs von der cbca haben über die gesamte Woche einen hervorragenden Job geleistet!

Und während ich dann noch einmal so vor mich hin grüble, ob der Reifendruck passt oder nicht, kommt auf einmal Tom zu mir. Ob ich kurz Zeit hätte, er bräuchte mich für ein Foto mit Peter Luttenberger. Ob ich da kurz Zeit habe? Na, aber immer doch! Als Kulisse haben sich Tom und Gernot natürlich Schloss Eggenberg ausgesucht, welches ja direkt am Startplatz liegt. Schloss Eggenberg gibt wirklich eine tolle Kulisse ab, nur leider sieht das der Kassier gar nicht so. Der hat Angst um seinen Job, weil Fahrräder im Schlosspark nun überhaupt, generell und sowieso verboten sind. Die Szene wäre echt filmreif gewesen, aber am Schluss hatte der gute Kassier einfach keine Chance und das Foto von Peter Luttenberger und mir vor Schloss Eggenberg fand seinen Weg in Gernots Kamera. Noch ein Wort zu Gernot Muhr: der Fotograf hat Peakbreak eine Woche über die gesamte Tour begleitet und wirklich geniale Aufnahmen gemacht. Gernot hat es wirklich toll verstanden, die Stimmung vor und nach dem Rennen, aber vor allem aber während des Rennens einzufangen. Das ist wirklich kein Vergleich zu den Fotos, die man sonst von einem Radmarathon oder einem kurzen Jedermann-Rennen bekommt. Da ist sind die Kameras an 3 bis 4 Orten fest installiert – das war’s. Und dann kostet noch jedes einzelne Foto ein Vermögen. Gernot hat hier über die gesamte Woche sehr viele Fotos vom Motorrad und Auto aus gemacht – was für ein Aufwand! Seine Fotos spiegeln dann aber auch die Dynamik des Radrennens wirklich extrem gut wider. Die Fotos am Start und nach dem Zieleinlauf wiederum vermitteln sehr gut etwas von der einzigartigen Gesamtatmosphäre eines solchen Etappenrennens.

Kurz vor 9 Uhr: das Foto mit Peter Luttenberger ist vergessen, die schlaflose Nacht und die Anlaufschwierigkeiten beim Frühstück auch. Andere Fragen dominieren jetzt: wie schnell geht es hier los? Wie lange kann ich mithalten? Vor allem aber: Egal wie’s läuft, bin ich morgen wieder fit nach immerhin 160 km?

Dann endlich ertönt das Horn für den Start und das kleine Peloton der 30 Fahrer setzt sich in Bewegung. Langsam geht es los – zu meiner Überraschung – aber unglücklich bin ich darüber natürlich verständlicherweise auch nicht gerade. Der Start aus Graz heraus erfolgt neutralisiert und so kommt auch erst einmal gar keine Hektik auf, auch wenn die Geschwindigkeit des Fahrerfeldes dann doch bereits in Graz stetig zunimmt. Von Radmarathons mit mehreren hundert Teilnehmern kennt man das ja, aber es ist schon interessant, wie selbst ein solch kleines Peloton doch eine unglaubliche Dynamik entwickelt und relativ rasch immer schnell und schneller wird. Die Fahrt aus Graz heraus fasziniert mich ohnehin bereits nach wenigen Minuten. Die Straßen sind so früh am Sonntag noch fast verwaist. Ein warmer Sommertag kündigt sich an und macht den Rennauftakt zum Genuss. Eine lockere Unterhaltung: noch kein Problem. Auf einer breiten Hauptverkehrsader rauscht unser Peloton Richtung Stadtgrenze von Graz. Vor uns etwa ein halbes duzend silberner Streckensicherungsfahrzeuge mit oranger Warnleuchte. Dazu das Führungsfahrzeug mit Tom und seiner Crew. Die Seitenstraßen werden von der Grazer Polizei gesichert. Alles in allem ein tolles Gefühl. Auch wenn das komplette Rennen auf nicht gesperrten Straßen stattfindet: in diesem Moment gehört die Straßen von Graz gefühlsmäßig einer kleiner Gruppe von Rennradfahrern. Keine Ahnung wie sich ein richtiges Profirennen anfühlt, aber diesem Moment fühle ich mich wie in einem echten Profirennen.

Von Graz aus verläuft die Strecke Richtung Süden sehr flach, eher leicht fallend und so bleibt auch mir trotz der immer höher werdenden Geschwindigkeit immer mal Gelegenheit für einen Plausch. Auch für die Landschaft bleiben meine Sinne noch offen – alles läuft einfach prima. Bei Pistorf knickt die Strecke dann Richtung Südwesten ab und es geht nach Eibiswald, nur wenige Kilometer von der Slowenischen Grenze entfernt. Das flache Terrain um Graz herum und auch fast bis Eibiswald leistet ebenfalls seinen Beitrag damit das Tempo sich auf den ersten 50 km gut in Richtung Renngeschwindigkeit hin entwickelt.

Kurz hinter Eibiswald ist dann aber auch Schluss mit lustig. Schnell trennt sich das Feld komplett auf, nachdem bereits einige Kilometer vorher Joa Weber die Flucht ergriffen hatte. Ab Eibiswald beginnt jetzt der 33 km lange Anstieg zur Soboth, der ersten Bergprüfung von Peakbreak. Auf dem Papier ist die Soboth eigentlich kein Riese. Gerade mal ca. 1000 Höhenmeter sind von Eibiswald hinauf auf die 1338 m hohe Passhöhe zu überwinden. Zudem erscheint der Anstieg von Westen deutlich flacher als von Osten. Trotzdem bleibt mir die Soboth eher unangenehm in  Erinnerung, denn der Anstieg ist sehr unrhythmisch. Die ca. 1000 Höhenmeter gehen nicht kontinuierlich hoch, sondern über 6 Stufen mit jeweils leichtem Gefälle. Gut, um mal zwischendrin etwas Luft zu holen, aber eben schwierig hier einen Rhythmus zu finden. Auf halben Weg zum Gipfel hole ich Alexander Gajo ein. Unter normalen Umständen hätte ich einen Fahrer wie Alexander am heutigen Tag nach dem Start wohl kaum wieder gesehen, da er doch um einiges besser wäre als ich. Allerdings muss Alex bereits am ersten Tag seinen heftigen Blessuren Tribut zollen. Wir fahren eine Weile zusammen und unterhalten uns. Nach einigen Kilometern muss ich ihn dann allerdings doch zurücklassen, da meine Schlagzahl an diesem Tag höher ist. Die Situation erscheint mir in dem Moment echt paradox, denn unter normalen Umständen würde sollte sich diese Szene mit vertauschten Rollen abspielen. Allerdings will ich auch den Blick für die Tatsachen nicht verdrehen, denn die geschilderte Situation von eben mag vielleicht so klingen, als würde ich vorne im Renngeschehen mitmischen. Weit, weit gefehlt. Als der Anstieg zu Soboth beginnt, falle ich stetig zurück. Schnell verliere ich in diesem Moment den Überblick. Ich konzentriere mich auf mich selbst und beobachte nicht das Renngeschehen – ziemlich naiv. Hinter mir befinden sich wohl noch maximal 10 Fahrer. Oder weniger? Oder mehr? Ich habe keine Ahnung! Nur nicht abhängen lassen.

Kurz vor der Passhöhe ein Blick zurück: nichts, niemand. Dafür kommen mir mit rauschender Geschwindigkeit einige Fahrer der Spitze einer anderen Rennveranstaltung entgegen – Tom hatte gestern beim Briefing davon erzählt. Was mir allerdings auch noch entgegen kommt ist Nebel! Der war nicht angekündigt. Wo kommt der denn jetzt mitten in all dem Sonnenschein her und vor allem: hoffentlich verzieht er sich auch gleich wieder, denn Nebel bei der Abfahrt finde ich jetzt nicht so toll. Kurz darauf schiebe ich die Sorgen um den Nebel beiseite, denn ich erreiche den Gipfel und damit gleichzeitig auch die erste Verpflegungsstation nach 80 km, also bereits der Hälfte der Etappe. Einige Fahrer stehen da und ein paar Minuten später, während ich mir schon das zweite Stück Banane gönne, trudeln noch einige Mitstreiter ein. Ich bin offensichtlich nicht der einige, der an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt des Rennens keine Hektik aufkommen lässt. Die Spitze ist auf und davon und der erste Renntag hat noch 80 km zu bieten, darunter der Anstieg nach Diex. Ganz zu schweigen von den sechs Tagen, die noch folgen werden. Mit einer kleinen Gruppe verlasse ich nach einigen Minuten die Verpflegungsstelle gemeinsam und stürze mich die Abfahrt hinunter nach Lavamünd. Gestürzt ist glücklicherweise niemand, aber die Wortwahl ist durchaus passend für diese Abfahrt, die fast durchschnittlich 10  % auf die 10 Kilometer bis Lavamünd aufweist. Dagegen ist die Steigung von Eibiswald hoch zur Soboth eher als harmlos zu bezeichnen. Kurz vor Lavamünd erreicht Peakbreak seinen südlichsten Punkt. Die Slowenische Grenze ist von Pfarrdorf aus gerade noch einen Steinwurf entfernt. Dem Flusslauf der Drau folgend geht es westwärts. Ich bin froh, dass eine kleine Gruppe von 6 bis 8 Fahrern nach der Abfahrt zusammen geblieben ist. Der nun folgende Flachteil bis zum nächsten längeren Anstieg ist immerhin 40 Kilometer lang. Das läuft mit so einer Gruppe doch um einiges flüssiger als im Alleingang. Dieser Gedanke prägt aber offensichtlich nicht nur mich, sondern auch die anderen Mitfahrer der Gruppe um mich herum. Das sollte sich auch in den folgenden Tagen bestätigen. Diejenigen, die sich hier nach dem ersten Berg gefunden hatten sollten auch im weiteren Verlauf des Rennens immer wieder zueinander finden – spätestens nach der ersten, selektierenden Bergprüfung. Und warum auch nicht, denn die Gruppe harmonierte hervorragen und alleine wäre man wahrscheinlich recht schnell ausgepumpt. Aus meiner Sicht eine ganz tolle Erfahrung bei Peakbreak. Ich bin Einzelstarter, aber das Rennen kann man nur in der Gruppe bestehen und so sehen es offensichtlich auch die anderen. Klar, wenn es gut läuft riskiert man auch mal was und geht weg – immerhin ist und bleibt das ein Radrennen, Teamarbeit hin oder her. Aber Teamarbeit ist eben doch ein ganz wichtiges Element, auch wenn man nicht für ein Team fährt.

In der Gruppe verläuft die flache Anfahrt bis zum Fuß des Anstiegs nach Diex doch recht entspannt und es bleibt auch noch etwas Zeit die wirklich sehenswerte Umgebung zu genießen, z.B. die Burgruine von Griffen, die hoch oben auf einem Felsen thront.

Direkt am Fuß zum Anstieg nach Diex bei Haimburg erwartet uns die zweite Verpflegungsstelle. Was mir hier jetzt passiert ist allerdings eher fatal. Die kleinen Helfer der freiwilligen Feuerwehr leisten hier wirklich ganze Arbeit und wuseln um die Fahrer herum, dass mir ganz wirr im Kopf wird. Kein Wunder nach fast 130 Kilometern und dem Anstieg der Soboth in den Beinen und dann dieser Eifer der Helfer! Ich höre immer nur wieder die Fragen „Noch ein Gel?“, „Wasser?“, „Banane, Banane, noch eine Banane?“ „Energieriegel?“ . Schnell lasse ich mich von der Hektik voll anstecken und stopfe sinnlos Kohlenhydrate in mich hinein, die ich eigentlich gar nicht mehr brauche. Geschürt wird diese Hektik noch durch die „Angst“, der Rest der Gruppe könnte ja ohne mich wegfahren. So ein Blödsinn, denn es kommt nur noch ein Anstieg. Den fährt heute erst einmal ohnehin jeder in seinem Tempo. Die 15 flachen Kilometer nach der Abfahrt von Diex ins Ziel wären dann wirklich nicht mehr tragisch – auch im Alleingang. Die Einsicht kommt leider zu spät. Sie kommt erst als ich die Verpflegung bereits wieder verlassen habe und nach einigen Kilometern beginne, mich den Berg hoch zu quälen. Zwar kann ich fürs erste noch gut in der Gruppe mithalten, aber mein Magen macht mich bereits nach kurzer Zeit darauf aufmerksam, dass das an der Verpflegungsstelle gerade ein Fehler war. Dazu kommt, dass die Steigung hinauf nach Diex doch um einiges steiler ist, als ich angenommen hatte. Etwa einen Kilometer vor der Bergankunft muss ich meine Mitstreiter dann endgültig ziehen lassen. Schnell vergrößert sich der Abstand. Nicht ganz unschuldig an dieser Tatsache sind die letzten 500 Meter hinauf nach Diex. Die Sonne brennt unbarmherzig von oben runter und die Schlußsteigung hinauf in den Ort hat es nach über 130 km noch einmal voll in sich. Dafür darf sich der kleine Ort an diesem Tag aber ganz zu Recht „Kärntens Sonnenparadies“ nennen. Mein Magen rebelliert langsam und die Beine fühlen sich auch nicht mehr ganz frisch, um es etwas beschönigt zu sagen. Berge fahren ist ja für mich wirklich das größte, aber so wie hier und jetzt musste ich mich schon lange nicht mehr quälen um eine Passhöhe zu erreichen. Und der Pass ist noch nicht einmal recht hoch. Oben angekommen muss ich erst einmal die Beine hängen lassen und das anschließende Flachstück nutzen um mich zu regenerieren. Kurze Zeit später neigt sich die Strasse dann dem Ziel entgegen … glücklicherweise ist die Neigung jetzt richtig, nämlich bergab. Ich riskiere nichts mehr und lasse es in der Abfahrt eher rollen als krachen. Immer langsam und Kräfte sammeln, heisst die Devise immer noch. Die Rechnung geht auf. Unten angekommen in Brückel fühle ich mich zwar immer noch nicht wieder taufrisch, aber für die letzten 15 flachen Kilometer ins Ziel reicht das allemal. Der Schnitt von ca. 27 km/h, den ich hier dann noch mache ist auch nicht gerade berauschend, aber für mich im Alleingang nach 145 Rennkilometern jetzt schon OK. Kurz vor dem Ziel dann noch einmal eine rauschende Schußfahrt mit 60 km/h und dann ist es geschafft: ich überquere nach 160 Kilometern und 6 Stunden 34 Minuten im Sattel die Ziellinie der ersten Etappe in St. Veit an der Glan. Auf die Gruppe, die noch kurz vorher mit mir nach Diex hochfuhr, habe ich glatt fast 20 Minuten verloren. Und noch überraschender: 2 Minuten nach mir kommt bereits Alexander Gajo zusammen mit Miriam Mandt in Ziel. Respekt, die beiden haben noch einmal zusammen richtig Stoff gegeben. Solche Einsichten zur Gruppendynamik oder gar Platzierungen interessieren mich aber erst später. In dem Moment als ich die Ziellinie überquere bin ich einfach nur glücklich hier den ersten Teil gut überstanden zu haben. Ich bin ganz schön fertig, aber eben nicht völlig platt. Und das Wichtigste: ich bin mir in dem Moment sicher, dass ich mit dieser Fahrweise noch genügend Luft für die nächsten Tage habe.

Viel mehr denken kann ich aber nach dem Überqueren der Ziellinie dann auch schon nicht mehr. Das merke ich auch gleich anschließend, als kurze Zeit später einer der Jungs die für Peakbreak den Zieleinlauf kommentieren, mit einem Mikrofon zu mir kommt. Ich bin ja gerade erst wieder zu Atem gekommen. Also ich weiß ja nicht, wie sich andere Leute bei einem Interview direkt nach einer solchen sportlichen Anstrengung fühlen, aber es ist schon irgendwie seltsam und lustig. Man sollte es einmal probieren. Ich antworte und rede irgendwas. Sehr koordiniert ist das Ganze nicht und kurz darauf frage ich mich, was ich denn da für Zeug geredet habe. Zukünftig habe ich höchsten Respekt vor Hochleistungssportlern, die direkt im Ziel Interviews geben müssen, dabei aber nur Floskeln runter sagen oder Blödsinn reden. Man hat in der Situation einfach sehr wahrscheinlich nichts Passenderes parat.

Dann geht es ab ins Hotel Fuchspalast. Das Hotel, in dem alle Teilnehmer untergebracht sind, befindet sich direkt am Ziel. Da schiebt man dann nach 160 km das Radl schon einmal gerne. Das „Fuchspalast“ ist nicht nur von außen eine Augenweide (unbedingt mal im Internet anschauen). Auch innen macht es einen sehr gepflegten Eindruck, die Zimmer sind sehr schön und der Service passt auch. Und auch das Rad darf hier nobel im Zimmer übernachten, wie von den Organisatoren versprochen. Nach einer gefühlten Ewigkeit unter der Dusche (war wahrscheinlich auch so lang), einem kleinen Bier und einem Salat mit Putenbruststreifen – ja nix Süßes und Klebriges mehr!!! – fühle ich mich dann auch schon wieder frisch. Der nächte Renntag könnte bereits kommen…

Der Abend klingt locker mit einer Pastaparty und einem gemütlichen Plausch aus. Nach dem ersten Renntag hat man doch schon einiges gemeinsam und kommt sich sofort näher als noch am Vorabend beim ersten Briefing. Gemeinsames Leiden beim Radln verbindet halt doch rasch. Jetzt ist es auch wirklich toll, dass hier nur 30 Leute teilnehmen. Schnell ist man mit fast jedem „per Du“ – inklusive der Rennleitung. Die lockere Stimmung wird praktisch von allen gleichermaßen angenehm empfunden. Nach der Siegerehrung bleibt neben dem Bier, Radler oder Wein auch noch Zeit für eine kleine Feedbackrunde, die Tom anregt. Wir sollen sagen, was am ersten Tag gut gelaufen ist und was noch für die kommenden Tage zu optimieren wäre. So stelle ich mir eine gute Rennleitung und -organisation vor. Am Anfang kann natürlich noch nicht alles perfekt laufen, aber das heute war doch schon echt toll, und wo es noch etwas hakt, klärt sich im Gespräch. Einig sind sich zum Beispiel fast alle, dass die Wasserversorgung auf der Stecke aus den Begleitfahrzeugen heraus besser werden sollte. Bereits an dieser Stelle kann ich sagen: ab dem nächsten Tag hat das für mich tadellos funktioniert.

Sehr schnell nach der Siegerehrung ist Feierabend. Immerhin hat die morgige Etappe mit 185 km nach Lienz noch einiges mehr zu bieten als der heutige Tag. Leider kann das sehr gute Hotel Fuchspalast und das durchaus bequeme Doppelbett nichts dafür, dass es auch in der kommenden Nacht nichts mit dem dringend nötigen Schlaf werden sollte…(Fortsetzung siehe 2. Etappe).

Etwas fehlt natürlich noch: die Resultate nach der ersten Etappe. Dass das heute keine Glanzleistung war ,ist mir klar. Glanzleistungen hatte ich mir aber auch vor dem Rennen nicht vorgenommen. Durchkommen war das Ziel. Aber zugegeben: dieses Ziel wird schon nach dem ersten Renntag weich. Das Rennfieber greift nach mir und so ganz kann und will ich mich dem nicht entziehen. Und so ist auch der Blick auf die Klassemente des Tages etwas ernüchternd, wenn auch nicht vollkommen enttäuschend. Mal schauen, ob da noch etwas geht, denn wie heißt es so schön bei uns: „A bissl wos geht oiwei!“

  • Tour-Gallerie:

  • Karte (Rechtsklick auf Download und „Ziel speichern unter…“ um die gpx-Datei herunterzuladen):
volle Distanz: 160730 m
Gesamtanstieg: 2683 m
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  •  Detailliertes Streckenprofil (klicken zum Vergrößern):

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