Rennen

Bergzeitfahren hoch drei: Gurnigel Panorama Classic 2016

Wer oder was um Himmels Willen ist denn der, die oder das „Gurnigel“ mag sich der eine oder andere fragen. Leute! Diese Frage deutet auf eine echte Wissenslücke hin! Wer mit dem Rennrad gerne an Jedermannrennen, Radmarathons und Zeitfahren teilnimmt, der sollte wissen, was das Gurnigel Panorama Classic (GPC) sind. Und wer, so wie ich, auch gerne mal ein Bergrennen oder Zeitfahren absolviert, der muss natürlich unbedingt wissen, was das GPC ist.

Sollte irgendjemand nun bei sich diese Wissenslücke entdeckt haben, so lässt sich diese erst einmal wie so oft und ganz einfach durch Wikipedia schließen. Im Hinblick auf den Begriff „Gurnigel“, hilft aber besser ein Blick in das tolle Pässelexikon bei quäldich.de weiter: Der Gurnigelpass liegt auf 1608 m und befindet sich Luftlinie ca. 30 km südlich von Bern und 15 km westlich von Thun. Soweit die nackten geographischen Fakten. 1608 m, das ist ordentlich, klingt jetzt für ein Rennrad-Jedermannrennen in den Alpen aber noch nicht unbedingt nach dem absoluten Monstergipfel. Abwarten. Ich habe mir dieses Rennen aus zwei Gründen ganz bewusst ausgesucht.

Der wichtigste und aus meiner Sicht interessanteste Grund ist der Modus, nach dem dieses Rennen ausgetragen wird. Für die Zeitnahme zählen bei diesem Rennen nämlich nur die Anstiege!
Zwischen Beginn des Anstiegs und oben auf der Passhöhe am Gurnigel wird jeweils die Zeit genommen. Sobald man erst mal oben auf der Passhöhe angekommen ist, kann man beruhigt durchschnaufen und die Abfahrt genießen. „Hast und Rast“ ist daher verständlicherweise das Motto des Veranstalters RC Thun. Klar, so ein Modus ist nichts für all diejenigen, die sich gerne todesmutig in die Abfahrt werfen um dort ihre Zeit rauszuholen. Und zugegeben: die Abfahrt vom Gurnigel wäre an der einen oder anderen Stelle schon mal für 90 – 100 km/h geeignet. Für mich ist das nichts. Ich muss nach dem Wochenende wieder in die Arbeit und habe keine Lust, mir wegen ein paar Minuten Zeitgewinn die Knochen zu brechen. Wer richtig Radrennen fahren will und auch beruflich Rennen fahren muss, der denkt da natürlich anders…

Das Gurnigel Bergzeitfahren hat aber auch noch eine weitere Besonderheit. Man kann den Gurnigel bei diesem Rennen nämlich wahlweise einmal, zweimal oder gar dreimal bezwingen. Das tolle daran: es gibt drei verschiedene Anstiege zur Passhöhe. Wer die dreifache Variante wählt, der muss also nie die gleiche Strecke zweimal fahren. Für jeden Anstieg wird die Zeit separat genommen. Für die Wertung ist dann die Gesamtzeit entscheidend, also die Summe der Zeiten der gefahrenen Anstiege. Zudem kann man sich auch erst am Renntag und sogar noch während des Rennens selber entscheiden, ob man sich einmal, zweimal oder dreimal mit dem Gurnigel duellieren möchte. Ich finde diesen Modus genial. Wenn das Wetter nicht mitspielt oder man sich nicht so gut fühlt, dann fährt man eben nur einmal oder zweimal. Wenn das Wetter aber so ist, wie an diesem Sonntag, den 14 August 2016 und man sich fit fühlt, dann kann man es krachen lassen und sich bei dreifach die Kante geben. Bei mir ist heute dreifach angesagt.

Bei meinem persönlichen Rennen an diesem Tag ist also Titel des Berichts Programm: ich möchte den Gurnigel dreimal in Angriff nehmen. Das Wetter ist mehr als top – es ist einfach nur gigantisch. Zudem ist es bei mir schon so, dass ich immer gerne die Maximalstrecke in Angriff nehmen möchte, wenn mehrere Varianten zur Auswahl stehen. Vor allem, nachdem ich wie in diesem Fall mal wieder fünf oder sechs Stunden dafür mit dem Auto durch die halbe Schweiz gefahren (oder bessser gestanden) bin um am Start zu stehen. Also die Autobahn zwischen Zürich und Bern bringt mich irgendwann noch einmal an den Rande eines Nervenzusammenbruchs… aber das ist eine andere Geschichte. Aber irgendwann Nachmittag des Vortags zum Rennen treffe ich dann doch in Gwatt bei Thun ein. Das Hotel Delta Park mit Toplage am Thunersee ist mein Stützpunkt für dieses Radrennen. Hotel und Service sind von der ersten zur letzten Minute erstklassig. Zudem startet das Rennen am morgigen Sonntag genau hier vor der Haustüre. Über die Landschaft hier in der Innerschweiz muss ich nicht weiter schwärmen, dafür hat sich die lange Fahrt dann ohnehin schon gelohnt.

Und nachdem hier alles optimal passt, wäre es ja nun auch noch denkbar das „Unternehmen Gurnigel“ in einer für mich passablen Zeit zu absolvieren. Klar, ich bin jetzt keine ausgesprochene „Bergziege“. Für einen guten Kletterer habe ich dann doch 5 kg zu viel auf den Rippen. Aber erstens fahre ich unglaublich gerne Berge und zweitens sagt mir mein gesunder Ehrgeiz, dass es immer noch ein realistisches Ziel ist nicht Letzter zu werden. Immer kleine Brötchen backen, dann kann man nicht enttäuscht werden 😉 Mal ganz abgesehen davon, habe ich erst vor 3 Wochen auf den Spuren der Tour de France unter anderem auf dem Col de Ramaz und dem Col de Joux Plane trainiert. Also da muss doch was gehen…

 

Der Start am nächsten Tag ist „fliegend“. Will heißen es gibt ein Startfenster zwischen 6 Uhr und 9 Uhr statt einer fixen Startzeit für alle. Da nur die Bergsprints gezählt werden finde ich das voll OK, außerdem kommt so nicht der übliche, morgentliche Rennstress auf. Kein Wecker, der zu unchristlicher Zeit um 3 oder 4 Uhr klingelt. Langschläfer wie ich wissen das erst recht zu schätzen. Nachteil ist natürlich, dass das „Rennflair“ mit dem fehlenden Massenstart etwas verloren geht. Aber damit kann ich leben. Außerdem startet Rennen eh erst nach fast 30 Kilometern mit der ersten Zeitnahme. Ein Massenstart wäre da nur bedingt sinnvoll, denn bis zur Zeitnahme fährt eh jeder sein persönliches Aufwärmprogramm.

Und so sieht das Bergzeitfahr-Programm dann nach dem Aufwärmen aus:

Zeitmessung 1:
Rüti (Dürrbach) – Gurnigel
8,7 km, 770 Höhenmeter
Durchschnittliche Steigung: 9,3 %
Steilstes Stück: 15 %

Zeitmessung 2:
Sangernboden – Gurnigel
13,7 km, 630 Höhemeter
Durchschnittliche Steigung: 4,6 %
Steilstes Stück: 10 %

Zeitmessung 3:
Riffenmatt – Gurnigel
11,9 km, 640 Höhemeter
Durchschnittliche Steigung: 5,4 %
Steilstes Stück: 15 %

Gesamtdistanz (offiziell):
146 km
Gesamte Höhendifferenz (offiziell,  auch mit den Passagen ohne Zeitmessung):
3370 Höhenmeter

Insgesamt also 34,3 km Bergzeitfahren mit einem Gesamtanstieg von 2040 Höhenmeter stehen mir bevor. Nicht schlecht. Aber ich will mal nicht übertreiben, denn zwischen den Zeitnahmen kann ich es langsam angehen lassen und oben am Gipfel jeweils in Ruhe die super Verpflegung (alle Achtung und ein großes Lob an die Organisatoren), die entspannte Stimmung und das überwältigende Panorama genießen. Das GPC findet 2016 zwar bereits in der fünften Auflage statt, hat sich seinen familiären Charme aber noch voll erhalten.

Zurück zum Renngeschehen an diesem Tag: Bei Gurnigel 3-fach war mir schon klar, dass ich mir die Kräfte gut einteilen muss. Den ersten Anstieg von Rüti aus absolvierte ich daher eher verhalten. Auch die Hitze an diesem Tag mahnt mich zur Vorsicht.

Zum Ersten! Sieht noch gut aus.

Gerade mal 9 Uhr am Fuß des ersten Anstiegs, keine Wolke am Himmel und schon 20 °C. Das wird später noch eine Hitzeschlacht. Kurze Brotzeit am Gipfel und runter geht’s ins Tal Richtung Riffenmatt. Genau diese Abfahrt wird später dann auch die dritte und letzte Auffahrt. Runter sieht alles immer so einfach aus ?

Aber erst einmal geht’s zum Sangernboden. Die Traverse zwischen Riffenmatt ist übrigens für mich eines der Highlights der Gesamtstrecke: ein wirklich wunderschönes Stück Asphaltband mit ganz herrlichen Ausblicken und viel Ruhe. Hier könnte ich auch super entspannen. Aber heute nicht. Am Sangernboden lasse ich die Verpflegungsstelle links liegen und starte direkt durch. Ich fühle mich gut erholt vom ersten Anstieg. Wasser hat’s auch noch genug im Tank. Es läuft prima. Und oben raus läuft’s sogar immer besser.

Zum Zweiten!! Sieht immer noch gut aus.

Allerdings zeigt die Rangliste mir später, dass das Gefühl in dem Fall täuscht. 24 Starter gibt es an diesem Tag in meiner Altersklasse. Ersten Anstieg: Platz 21. Na gut, da habe ich aber auch wirklich nicht 100% gegeben. Zweiter Anstieg: Platz 20. Das hätte ich besser erwartet. Egal, in dem Moment wusste ich ja noch nichts von irgendwelchen Zeiten und Plätzen. Psychologischer Vorteil ?. Mittlerweile ist es kurz vor Mittag und auf der Passhöhe hat es schon über 25 °C. Die letzte Auffahrt wird ziemlich heiß, so viel ist jetzt schon klar.

Owa geht’s! Die Abfahrt nach Rüti hinunter hat einige gerade und sehr steile Passagen. Die könnte man schon extrem schnell fahren. Aber das ist heute ja nicht nötig. Kurze Verschnaufpause. Aber wirklich nur ganz kurz. Denn obwohl der Start der letzten Zeitnahme erst in Riffenmatt erfolgt, geht’s bereits Rüschegg-Heubach mit dem Anstieg los. Und das nicht zu knapp. 300 Höhenmeter auf 6,5 km bei 30 °C im Schatten. Und das nur um an den Start der Zeitnahme zu kommen. Das ist mal ein Aufwärmprogramm. Und dabei bin ich schon warm. Ich hätte das gar nicht nötig.

Start der letzten Zeitnahme in Riffenmatt. Hier bin ich vorhin entspannt runtergefahren. Aber erst jetzt wird mir klar, wie steil dieses Stück Gurnigel teilweise wirklich ist! Zahlen, Daten und Fakten spare ich mir. Nur soviel: jetzt fahre ich wirklich auf Anschlag und es ist mittlerweile wie erwartet bullenheiß. Im unteren Teil habe nicht wirklich das Gefühl, dass das hier mein Glanzstück des Tages wird. Immerhin überholt mich keiner und das ist immer ein gutes Zeichen. Trotzdem habe ich phasenweise das Gefühl im Schneckentempo dahinzuschleichen. Ich bin wirklich froh, als es im oberen Teil kurzzeitig flacher wird, bevor es in die finalen 2,7 Kilometer zur letzten Zeitnahme geht. Und dann ist es vollbracht. Darauf erst einmal ein paar Stück Kuchen ? Und wie es denn manchmal ist, so täuscht auch bei dieser letzten Auffahrt der erste Eindruck. Dritter Anstieg: Platz 13. Meine Renneinteilung war offensichtlich doch gut. Das reicht in der Schlussabrechnung immerhin zu Platz 18 von 24.

Und zum Dritten!!! Geschafft und immer noch gut drauf.

Nach einer ausgiebigen Pause habe ich dann noch ein Luxusproblem. Die letzte Zeitnahme ist erfolgt, aber das Ziel liegt noch 40 Kilometer weit entfernt am Thuer See. Wahrlich ein Luxusproblem an einem solchen Tag. Noch dazu deshalb, weil es jetzt fast nur noch bergab geht!!!

Im Ziel

 

Servus
RK

 

Schnappschuss des Tages

Kühe haben immer Vorfahrt: auch bei Radrennen!!!

Fotostrecke

Hier gibt es vom Veranstalter schon eine schöne Gallerie auf Google

Bilder Passhöhe
Bilder Start und Zieleinlauf

Zusammenfassung

Streckenlänge: ca. 145 km
Höhendifferenz (Aufstieg): ca. 3300 m
Durchschnittsgeschwindigkeit (mit Pause & Stops): ca. 13,8 km/h
(„Hast und Rast“: Hier sind alle Pausen  am Gipfel dabei)
Durchschnittsgeschwindigkeit (in Bewegung): 18,3 km/h

Strecke
herunterladen: Rechtsklick auf „Download“ unten und „Ziel speichern unter…“
Anmerkung: Die gpx-Datei hat leider einen kleinen Schönheitsfehler. Entgegen der Aufzeichnung bin ich natürlich durch den Amsoldinger See gefahren. Es gab einfach einen kurzen Aussetzer an meinem Garmin. Also beim nachfahren der Strecke bitte Hirn einschalten 😉

volle Distanz: 144832 m
Gesamtanstieg: 3305 m
Download

Und dann hier noch mehr Daten (wen es interessiert)