Rennen

3. Etappe (Peakbreak 2008)

Lienz – Kitzbühel

Heute klingelt der Wecker bereits kurz vor 5 Uhr und Rennstart ist um 7 Uhr. Eigentlich fast unmenschliche Uhrzeiten um an sportliche Höchstleistungen zu denken, aber ich mache ja wie alle anderen freiwillig mit. Da darf man sich dann auch nicht beklagen. Immer wieder beruhigend: die anderen Mitstreiter sehen um diese Uhrzeit auch nicht ausgeschlafener aus. Apropos Schlaf: endlich habe ich 4 Stunden am Stück geschlafen. Das klingt wenig, aber nach den letzten beiden schlaflosen Nächten fühle ich mich heute fast wie neu geboren. Noch eine Nacht wie die beiden davor und das Rennen hätte heute für mich möglicherweise ein jähes Ende gefunden…ich will gar nicht daran denken, vor allem als ich kurze Zeit später mit meinem Rad an der Startlinie stehe. Der Aufbruch zur frühen Morgenstunde hat im Übrigen sehr triftige Gründe. Um die Mittagszeit ist der Touristenverkehr oben am Großglockner recht stark. Um hier Gefahren, insbesondere bei der Abfahrt zu minimieren, ist ein sehr zeitiger Start am Morgen unausweichlich. Um überhaupt eine behördliche Genehmigung für die tolle Etappe im Rahmen einer Rennveranstaltung zu bekommen muss man auch Zugeständnisse machen können. Dafür hatten wohl letztlich alle Teilnehmer Verständnis.

Es ist kurz vor 7 Uhr und das Leuchten der Berge in der aufgehenden Sonne sowie der strahlend blaue Himmel kündigen Kaiserwetter für die Königsetappe an. Knapp 3000 Höhenmeter verteilen sich auch bei dieser Etappe auf gerade einmal 140 Kilometer. Höhepunkt ist das Dach von Peakbreak, die Großglockner Hochalpenstrasse mit ihrem Anstieg auf 2504 m am Hochtor. Ich kenne dieses Gefühl gut und es trügt eigentlich nie: das ist der perfekte Tag um einen so namhaften Pass zu bezwingen. Doch eines nach dem anderen. Vor der Kür auf dem Großglockner steht die Pflicht am Iselsberg und der Anstieg hierzu folgt bereits 3,5 Kilometer nach dem Start. Da bleibt keine Zeit um sich vor dem Berg warm zu fahren oder gar nur einzurollen. Eine Kleinigkeit von 1200 m misst der Vorbote des Großglockners. Von Lienz aus geht es auf der Bundesstraße Richtung Oberdrauburg nach kurzer Zeit linker Hand ab und schon stehen wir mitten im Anstieg. Was sich gestern am Anstieg zum Nassfeld erst nach über 100 km getrennt hat, trennt sich heute unmittelbar nach dem Start. Die ca. 500 – 550 Höhenmeter Anstieg verteilen sich hoch zum Iselsberg auf 8 Kilometer, das heisst der Anstieg ist mit durchschnittlich 6,5 % noch moderat. Allerdings fühlt es sich so an, als sei das üppige Frühstück bereits nach wenigen Kilometern pulverisiert. Hier lohnt es sich für mich im Moment nicht an irgendeiner Gruppe dran zu bleiben. Vielleicht wäre es möglich, wenn ich meine Leistung etwas besser einschätzen könnte. Nach den vergangenen beiden Tagen mit dem Schlafdefizit lasse ich heute aber erst einmal so früh keine Hektik aufkommen. Ich fahre einfach mein Tempo. Und bei dem was da im Höhenprofil der Etappe noch folgt, wäre Hektik auch völlig fehl am Platz. Das Flachstück nach dem Iselsberg bis hin zum richtigen Beginn des Anstiegs kurz vor Heiligenblut kann ich wieder einmal schlecht einschätzen. Nach der Abfahrt vom Iselsberg bin ich erst einmal alleine unterwegs. Besser wäre es hier sicherlich in der Gruppe, denn es sind fast 20 km mit einer ganz leichten Steigung von 1 %. Allerdings will ich es vermeiden mich selbst in den Anstieg zu treiben, indem ich irgendjemanden folge. Daher lasse ich die Gruppe vor mir, die ich in der Ferne auf einer langen Geraden sehe, ziehen. Flachstück hin oder her, am Großglockner werden die Karten ohnehin neu gemischt. Und wenn heute überhaupt eine Gruppe wichtig ist, dann auf dem zweiten Flachstück nach der Abfahrt vom Fuscher Thörl hin zum Pass Thurn, das mit 40 Km wirklich lang ist. Kurz nach Heiligenblut muss mit Alex Gajo der erste Fahrer aufgeben. Er wird der Einzige bleiben bei dieser ersten Auflage von Peakbreak. Für heute muss er den schweren Verletzungen, die er sich bei seinem Sturz am Vorabend zum Rennstart in Graz zugezogen hat, Tribut zollen. Dass er es überhaupt bis heute durchgehalten hatte verlangt Respekt ab. Noch mehr Respekt verdient die Tatsache, dass er nach einem Tag Pause bereits bei der 5. Etappe wieder mit von der Partie sein wird und bis zum Schluss mitfährt. Den meisten Respekt verdient jedoch die Vernunft aufzuhören, wenn der Körper nicht mehr mitmacht. Leicht fällt es sicherlich nicht …

Ich muss mich auf mein Rennen konzentrieren. In dieser Rennphase fahre ich ab Heiligenblut alleine und das bleibt auch bis zur ersten Verpflegung so. In diesem Moment liegen noch ca. 1200 Höhenmeter vor mir bis zum ersten Gipfel am Hochtor. Danach fällt die Strecke noch einmal, um anschließend noch einmal um 150 Höhenmeter zur ersten Verpflegungsstelle am 2400 m hohen Fuscher Thörl anzusteigen. Macht zusammen 1350 Höhenmeter auf 20 Kilometer. In diesem Moment kurz hinter Heiligenblut ist mir nicht mehr klar, was noch vor mir liegt, ich weiß nur, dass der Weg nach oben noch lange ist. Das Höhenprofil, das ich am morgen noch angeschaut habe, verschwimmt nach etwa 10 Kilometern hinter Heiligenblut vor meinen Augen und wird unwichtig. Niemand hat zu mir aufgeschlossen und ich habe niemanden mehr eingeholt. Ich beginne, mein Programm herunter zu spulen, wie ich es auch sonst im Training mache. Ich lasse nichts anbrennen und ziehe auch nicht an. Mein Ziel ist es, dieses Rennen zu finishen. Jede Tempoverschärfung könnte tödlich sein, denke ich mir in diesem Moment. Und in diesem Moment bin ich mir sicher, das Richtige zu tun. Auch am folgenden Samstag in Graz werde ich mir noch sicher sein, das Richtige getan zu haben. Aber später, Wochen nach dem Rennen bin ich mir nicht mehr so ganz sicher. Wäre da nicht mehr drin gewesen, lautet die Frage, die ich mir stelle? Am Dienstag auf dem Großglockner … oder auf einer der anderen Etappen? Die Frage ist akademisch, aber ich stelle mir die Frage trotzdem: „Wäre nicht 1% mehr drin gewesen?“ Am Ende, wenn man es dann geschafft hat, ist man wohl doch immer undankbar. Obwohl, „undankbar“ ist das falsche Wort hier. „Sportlicher Ehrgeiz“ wäre richtiger, denn wer möchte nicht einen guten Anreiz für das nächste Mal haben? Ich versuche noch einmal ehrlich, mir mein Gefühl, meine Verfassung in diesem Moment des Anstiegs zum Hochtor Monate später in Erinnerung zu rufen: Noch 5 Kilometer hoch zum Gipfel… oder doch 4 oder 6 …? Egal, ich befinde mich bei 100 %, also am Anschlag oder vielleicht auch leicht darüber. Mehr geht nicht! Aber trotz aller Anstrengung entgeht mir nicht, in welcher surrealen Kulisse ich hier fahre. Glasklar erheben sich die majestätischen Dreitausender um mich herum im Sonnenschein und doch sind sie in diesem Moment nur Statisten für mich. 3 Stunden und 15 Minuten nach dem Start in Lienz habe ich das Hochtor erreicht und passiere den kurzen Tunnel. „Geschafft“ denke ich in diesem Augenblick nur und das obwohl gerade einmal 52 Kilometer der 140 Kilometer absolviert sind. Für mich ist diese Etappe an dieser Stelle geschafft und mich überkommt ein erster Adrenalinstoß. Der folgende Anstieg zum Fuscher Thörl nach der kurzen Abfahrt vom Hochtor erscheint mir wie ein Klacks. Nach 3 Stunden und 33 Minuten habe ich die Verpflegungsstelle am Fuscher Thörl erreicht. Kurz vorher habe ich die Zeitnahme vor der Abfahrt passiert. Die folgende Abfahrt zur Mautstelle unten am Fuße der Brucker Seite des Großglockners erfolgt neutralisiert. Eine geniale Idee, aber auch eine Notwendigkeit aufgrund behördlicher Auflagen. Hier lohnt es sich eben nicht bei der Abfahrt Kopf und Kragen zu riskieren, denn die Zeit hinunter zur Mautstelle zählt einfach nicht. Auch in der Verpflegungszone kann ich mir aus diesem Grund Zeit lassen, bis sich letztlich eine kleine Gruppe gefunden hat, die gemeinsam nach unten aufbricht, um dann in der nachfolgenden Ebene gemeinsame Sache zu machen. Neutralisierte Abfahrt hin oder her, die nachfolgenden 20 Km Abfahrt vom Großglockner sind auch so Genuss pur. Ich bin ja kein guter Abfahrer, aber hier hinter dem Sicherungsfahrzeug mit 60 km/h und mehr herzufahren ist wirklich Spaß pur. Dass die Neutralisierung sinnvoll ist, stellt man spätestens auf der Abfahrt fest. Stoßstange an Stoßstange reihen sich die Autos und Reisebusse, die uns auf der Abfahrt entgegen kommen. Die Strasse ist zwar breit und der Belag ist gut, aber richtig Rennen kann man eben auch nicht fahren ohne Kopf und Kragen zu riskieren. Wenn hier im Gegenverkehr ein Auto überholt, dann gute Nacht… Dann lieber hinter dem Sicherungsfahrzeug fahren und die Ziellinie erreichen.

An der Mautstelle ist die Gruppe dann wieder auf sich alleine gestellt. Auf der abfallenden Strasse entlang der Fuscher Ache Richtung Salzach geht es in der Gruppe immer noch gut zur Sache: Geschwindigkeitsrausch garantiert. Bei Bruck an der Großglocknerstraße geht es links auf die B311 und wir müssen die Arbeit im flachen Terrain wieder aufnehmen. Schnell fällt die digitale „Tachonadel“ wieder auf Werte, die mich daran erinnern, welchen Alpenriesen ich noch in den Beinen habe. Kurz vor dem Zeller See geht es dann von der B311 wieder links auf die B168, die parallel zur Salzach verläuft. Das folgende Teilstück verläuft nun wirklich topfeben. Das gesamte Flachstück von Bruck an der Glocknerstraße nach Mittersil sollte man jedoch nicht unterschätzen, denn circa 30 km im Alleingang können ganz schön Kraft kosten. Und am heutigen Tag sind es nicht nur der Großglockner und die Kilometer in den Beinen, die Substanz kosten, sondern auch die Hitze fordert ihren Teil. Auf dem Weg nach Bruck steigt das Thermometer bei strahlendem Sonnenschein im Tal auf fast 30°C im Schatten …und Schatten ist hier keiner. Immerhin, die Hitze kommt mir entgegen, denn unter diesen Bedingungen blühe ich so richtig auf. Am Beginn des Anstiegs zum Pass Thurn fühle ich mich wirklich gut … schon beängstigend gut. Ich schiebe das in diesem Moment auf den wieder gefundenen Schlaf der vergangenen Nacht und plötzlich fühle ich mich stark. Ein Gedanke durchzuckt mich: Ich habe mit nur 2 Stunden Schlaf vor den ersten beiden Etappen gut mithalten können, was ist dann erst heute möglich …? Ich beantworte mir die Frage selbst, indem ich nach einigen hundert Metern des Anstiegs beschließe zu beschleunigen. Ein kurzer Zwischensprint genügt und ich bin weg von meinen Begleitern. Unglaublich, ich schwebe auf Wolke 7 und obwohl ich jetzt wieder etwas langsamer werde, wird der Abstand größer. Ich beschließe, mich nicht mehr umzuschauen und fahre mein Tempo weiter. Nach etwa 3 km wird der Anstieg etwas flacher. Plötzlich höre ich ein Schnaufen hinter mir. Ein Blick zur Seite an mein Hinterrad und ich sehe Friedhelm neben mir. Um es vorweg zu nehmen: Friedhelm ist Jahrgang 1951 und im Endklassement lässt er mich – Jahrgang 69 – mit fast 1 Stunde 40 Minuten Vorsprung echt alt aussehen. Aber in diesem Moment denke ich an gar nichts. Ich will nur einfach alle hinter mir lassen und ich habe noch Luft nach oben. Noch 7 km zum letzten Gipfel am Pass Thurn. Der Tacho zeigt 14 km/h und ich beschleunige wieder. 15, 16, 17 km/h kein Problem. Es ist ein absolut unbezahlbares, ein einfach geiles Gefühl, wenn die Beine genau das machen, was der Kopf will…20, 21, bis auf 22 km/h steigt die Anzeige. Obwohl ich ja in Wirklichkeit krieche, habe ich in diesem Moment das Gefühl ich würde fliegen. Erst kurz vor dem Gipfel blicke ich mich wieder um und sehe noch für einen kurzen Augenblick Friedhelm. Der Abstand ist nur einige hundert Meter, aber am Berg ist das doch einiges. Auf der Passhöhe beträgt meine Durchschnittsgeschwindigkeit auf den letzten 9,5 km des Anstiegs von Mittersil 17,2 km/h bei einer Steigung von durchschnittlich 4,7 %. Die über 120 km in den Beinen sind wie nicht vorhanden und ohne einen weiteren Gedanken stürze ich mich in die lang gezogene Abfahrt hinunter ins Ziel nach Kitzbühel. 18 km im Allleingang sollten hier kein Problem sein. Die breite Strasse ist für eine gefahrlose Schussfahrt wirklich Klasse. Langsam finde ich Gefallen am Abfahren. Auf dem letzten Teilstück gebe ich euphorisiert von der Geschwindigkeit dann auch wirklich noch einmal alles was drin ist. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 41 km/h auf dieser letzten Abfahrt rausche ich nach insgesamt 5 Stunden 42 Minuten und 47 Sekunden überglücklich über die Ziellinie in Kitzbühel. Friedhelm kommt nur kurz nach mir ins Ziel, hat mich aber dennoch um 22 Sekundengeschlagen. Wie das geht? Ganz einfach: durch die neutralisierte Abfahrt vom Großglockner. Friedhelm war einfach deutlich schneller am ersten Anstieg. Niederlage? Keineswegs! Mir ging es ja nicht um den Etappensieg, sondern darum das Letzte aus mir heraus zu holen und hier und jetzt das absolut Beste zu geben. Dass ich mich hinter der Ziellinie freuen kann und zufrieden bin, zeigt mir, dass ich heute gewonnen habe. Aber etwas ganz grundlegendes noch: eine solch gigantische Etappe, über einen der Alpenriesen schlechthin und das auch noch an so einen herrlichem Tag: schon allein dafür wird Peakbreak 2008 mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Einige Stunden später dann trudeln langsam alle Teilnehmer im vornehmen Golf-Resort A-Rosa von Kitzbühel ein. In herrlicher Lage geniesse ich das wohlverdiente Weissbier. Der Blick kann hier auf der Terrasse in der frühen Abendsonne ungehindert von Gipfel zu Gipfel schweifen. Ich lasse den Blick von Süden (Pass Thurn) nach Nordosten über den Golfplatz wandern. Am Ende sehe ich das, was mich morgen erwartet: das Kitzbühler Horn. Das Ziel liegt zwar etwa 200 Höhenmeter unterhalb am Alpenhaus, aber das reicht auch noch, denn es sind auch noch 1000 Höhenmeter von Kitzbühel aus. Ich will nicht lügen: in diesem Moment denke ich mir „Das sieht ja harmlos aus“. Ich sollte nicht so ganz recht behalten. Aber erst einmal ist jetzt Stärkung angesagt. Auch im Gourmetrestaurant gibt es heute natürlich wieder Pasta. Die wird jedoch heute im Gourmetrestaurant stilgerecht serviert und auch sonst passt das Ambiente im A-Rosa wirklich wunderbar. Leider kann ich mich trotzdem nicht des Eindrucks verwehren, dass die Peakbreak-Truppe von einigen Personen der Golfgemeinschaft ab und zu etwas schief angeschaut wird. Es geht sicherlich ab und zu etwas lauter, aber jederzeit gesittet beim Abendessen zu. Entschuldigung, aber nach 140 km und 3000 Höhenmetern ist man eben nicht nur körperlich ein wenig platt, sondern zum Teil auch noch etwas aufgedreht und vor allem recht hungrig. So eine Etappe bei Peakbreak ist halt doch was anderes als eine Runde um den Golfplatz und ich spreche aus Erfahrung, denn letzeres habe ich auch schon ein paar mal mit Genuss gemacht. Alles in allem bin ich aber der Überzeugung, dass das A-Rosa grundsätzlich eine echt geniale Location für Peakbreak ist: Ambiente, Lange und Essen sind wirklich vom Feinsten. Ich hoffe es bleibt auch in Zukunft ein Teil der Veranstaltungsorte von Peakbreak – vielleicht mit etwas mehr Verständnis für den Radsport…

  • Tour-Gallerie:

  • Karte (Rechtsklick auf Download und „Ziel speichern unter…“ um die gpx-Datei herunterzuladen):

volle Distanz: 139787 m
Gesamtanstieg: 3075 m
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  • Detailliertes Streckenprofil (klicken zum Vergrößern):

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