Rennen

Prolog (Peakbreak 2008)

Ein richtiges Etappenrennen mit dem Rennrad zu fahren ist sicherlich nicht jedermanns Traum. Meiner schon! Ich würde sagen ich träume schon eine ganze Weile davon und zwar seit 1986.

In den Sommerferien des Jahres 1986 fuhr ich zum ersten Mal mit einem Freund für 14 Tage durch Italien. Wir fuhren nicht mit dem Auto, dem Bus oder dem Zug, sondern mit unseren Rennrädern Marke Motobécane (die französische Marke war damals voll angesagt). Voll gepackt bis zum Anschlag, mit Essen, Kleidung und Werkzeug in den Satteltaschen sowie einem Zelt und Schlafsack, wog das Stahlross wohl ungefähr 25 Kilogramm oder mehr. Carbon hatte man damals höchstens im Ofen – dass man daraus Räder bauen kann wussten wahrscheinlich die wenigsten. Die ganze Tour von Bologna über Pescara, Neapel, Rom und Siena hatte locker über 1000 km und Tagesetappen über 100 km waren eigentlich Standard. Das wichtigste aber war: die ganze Tour war eine „Mords Gaudi“! In den Jahren danach durchquerte oder umrundete ich begeistert, zusammen mit Freunden oder alleine, in ein- oder zweiwöchigen Touren, die Inseln Korsika und Sardinien und den Peloponnes mit Süd-Griechenland. Es folgten Touren entlang der türkischen Mittelmeerküste und der türkischen Schwarzmeerküste, Touren durch Nord-Frankreich und die Pyrenäen, Nordgriechenland und eine Tour quer durch die Alpen. Falls möglich, klebte ich rechtzeitig zur Tour de France natürlich auch immer vor dem Fernsehen. Was ich damals beim Betrachten der Bilder im Fernsehen toll fand und auch immer noch toll finde ist, wenn ich sagen kann: „Da bin ich auch schon raufgeklettert“. Und in dem Moment kann mir auch das ganze Gerede über Doping egal sein. Ich bin zwar keinen 30er Schnitt über den Aubisque gefahren (musste ich glücklicherweise auch nicht), aber ich hatte als Energiequellen eben auch nur Kaffee, Kekse, Cola und Wasser. Eine der genialsten Touren war sicherlich eine Tour von Augsburg nach Paris, mit einem „kleinen Schlenker“ über Mâcon (Burgund). Das genialste dabei war nach über 1000 km die Ankunft in Paris: In der Nacht über den Place de la Concorde auf die Champs-Élysées einzubiegen und den beleuchteten Triumphbogen vor sich zu sehen, das hat schon was. Auch wenn auf den Champs-Élysées in diesem Moment keine Zuschauer jubelten, spätestens hier war mir klar was für ein unbeschreibliches Gefühl es sein muss bei einem Etappenrennen auf die Zielgerade einzubiegen.

Aufgrund einer überaus hartnäckigen Knieverletzung, aber auch eines recht stressigen Studiums, musste ich den Wunsch, ein solches Etappenrennen einmal mitzufahren, dann aber doch in den 90er Jahren bis auf weiteres verschieben. Irgendwie geriet die Sache in Vergessenheit und auch mit Radfahren war nicht mehr viel los bei mir. Der Wunsch erwachte urplötzlich wieder im Jahr 2005. In diesem Jahr zog ich aus beruflichen Gründen nach Basel und damit auch an den Rand des Südschwarzwalds. Nicht einmal ein halbes Jahr später hatte ich mir mein erstes, richtiges Rennrad gekauft und schon war die alte Leidenschaft für’s Radln zu neuem Leben erweckt. Die ersten Jedermann-Rennen folgten umgehend und bereits Mitte 2006 konnte ich die Gesamtwertung der Deutschland-Tour in der Jedermann Variante erfolgreich beenden. Und spätestens jetzt begann für mich im Internet für 2007 die Suche nach einem „richtigen“ Etappenrennen für Jedermann. Eine Woche wäre genau richtig, dachte ich mir. Leider erhielt mein Wunsch recht rasch einen Dämpfer. Ein einwöchiges Rennen für Jedermann in der näheren Umgebung? Fehlanzeige! Sicherlich gab es Möglichkeiten, aber alles irgendwie mit Haken. Die Viking-Tour in Norwegen muss zwar, auch landschaftlich, wirklich toll sein, aber für den ersten Versuch erschien mir die Chance auf Eis und Schnee erst mal nicht verlockend. Das Projekt „Viking Tour“ ist aber nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Besonders reizvoll erschien mir der Giro Sardegna. Das Jedermann Rennen mit seinen 7 Etappen findet alljährlich an unterschiedlichen Orten auf Sardinien statt. Leider ist der Temin für dieses Rennen immer um Anfang bis Mitte April. Das mag für sonnenverwöhnte Italiener recht gut sein, aber für einen Saisonhöhepunkt ist es mir etwas zu früh – zumindest für den ersten Versuch eines Etappenrennens. Und dann wäre da natürlich noch die Tour Transalp. Teamgeist ist ja eine tolle Sache, aber was bitte schön soll derjenige machen, der so ein Rennen alleine fahren möchte – oder muss? Und was bitte schön heisst hier schon Teamgeist? Auch wenn man in einem Rennen für die Einzelwertung fährt, fährt man das Rennen nicht alleine. Wie dem auch sei, meine Pläne für ein Etappenrennen mussten auf jeden Fall leider noch ein Jahr warten. Doch 2008 war es endlich soweit. Schon Anfang 2008 war mir bei einem meiner Planungsstreifzüge für 2008 die Internetseite der Veranstaltung „Peakbreak“ aufgefallen. Eine Woche Radrennen für Jedermann quer durch Österreich über 1000 Kilometer und 18000 Höhenmeter. Das Ganze Ende Juli Anfang August, wenn es (hoffentlich für mich) schön heiß ist. Und das Wichtigste zuletzt: Einzelstarter Willkommen! Das ist es doch endlich! Ich war begeistert. Normalerweise, so zumindest die Jahre vorher, bin ich im Winter anfällig für schnelle Anmeldungen. Ein paar Mausklicks und gezahlt wird später. Nein, nicht mit der nächsten Kreditkartenrechnung, sondern am ersten Berg beim Rennen. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund zögerte ich. Eine Woche Urlaub und etwas mehr als der übliche Marathon kostet die Veranstaltung logischerweise auch. Bin ich genau in dieser Woche topfit? Was ist, wenn es eine Woche aus Kübeln gießt? Kurzer Tipp für alle die auch planen an einem solchen Rennen teilzunehmen und dann plötzlich mit ähnlichen Gedanken spielen: Hirn abschalten und sofort anmelden, das spart einiges an überflüssigem Gegrübel. Ich habe mich bis Mitte Mai mit der Entscheidung gequält und dann habe ich mich natürlich doch angemeldet.

Keine 2 Wochen nach der Anmeldung dann der erste herbe Rückschlag: ein heftiger grippaler Infekt setzt mich fast 3 Wochen außer Gefecht. Gerade 8 Wochen waren es nach der Genesung noch bis zum Startschuss von Peakbreak in Graz und meine Form war so… na ja… Bis Ende Juni würfelte dann die Arbeit meinen Trainingsplan gehörig durcheinander. Solche „erzwungenen Regenerationsphasen“ sind nur in Maßen hilfreich… Doch Ende Juni nahm ich dann im wahrsten Sinne des Wortes langsam Fahrt auf. Ende Juli fühlte ich mich dann auf den Punkt topfit. Unglaublich, Anfang Juni war ich mit dem Training fast wieder bei Null gestartet!

Am Freitag, dem 25. Juli 2008 startet das „Unternehmen Peakbreak“ dann endlich für mich. Mit einem voll gepackten Auto setze ich mich Richtung Startlinie in Graz in Bewegung. Auch mit an Bord: ein nagelneuer Satz eigener Trikots sponsored by Radl-Kini. An dieser Stelle ein dickes Lob an den tollen Service der Firma Owayo, bei denen ich die Trikots 10 Tage vor Rennbeginn noch kurzfristig bestellt hatte. Der Spaß war aufgrund der Expressbestellung nicht ganz billig, aber es hat sich gelohnt: Schöne Trikots mit dem eigenen Logo. Das schafft doch noch mal zusätzlich Motivation. Was sollte jetzt noch schief gehen…?

…Acht Stunden später. Toll! Es schüttet in Strömen und ich stehe auf der Autobahn im Stau. Noch gut 100 km bis zu meinem Ziel in Graz. Ziel in Graz? Noch 100 km? Graz ist sicherlich heute mein Ziel, aber in 100 km stehe ich ja erst einmal am Start in Graz. Bis zum Ziel in Graz sind es dann nochmals 1000 km! Bei diesem Gedanken erscheint Staustehen wieder eher als angenehm, denn die 1000 km, die ab Graz vor mir liegen fährt ja auch nicht das Auto für mich. Nein, die 1000 km muss und möchte ich schon selbst fahren, und das innerhalb von 7 Tagen, egal ob Sonnenschein oder Sauwetter wie jetzt und hier. Nicht weniger als 18000 Höhenmeter stellen sich mir dabei in den Weg, darunter so klangvolle Namen wie der Großglockner und das Kitzbüheler Horn.

Endlich angekommen. Es ist fast Mitternacht als ich das Sporthotel in Graz erreiche. Nicht gerade idyllisch zwischen Schlachthof und Zentralfriedhof gelegen, aber dafür zweckmäßig, sauber und vor allem ruhig. Letztes hängt sicherlich auch mit der Nachbarschaft zum Zentralfriedhof zusammen. Zu weiteren Gedanken komme ich nicht, denn nach ca. 12h Autofahrt bin ich fix und fertig und schlafe sofort ein. Anstrengender als diese 800 km mit dem Auto sind 180 km radln auch nicht, denke ich mir. Und so freue ich mich bereits auf den Startschuss von Peakbreak, der m erst übermorgen, am Sonntag, erwarte. Für morgen ist erst einmal ausschlafen und danach einrollen und Race Briefing angesagt.

Gut ausgeschlafen starte ich am Vortag des Rennens in den Tag. Und während ich mich am Frühstücksbuffet bediene, mache ich auch schon gleich Bekanntschaft mit einem ersten Mitstreiter des Rennens: Marco Reise. Wir unterhalten uns gut und fachsimpeln ein wenig. Auch für Marco ist es die erste Herausforderung einer solch extremen Art. Obwohl er schon einige Triathlons erfolgreich absolviert hat, ist auch er skeptisch, ob er es schaffen wird. Schon immer wieder komisch: wenn andere Leute auch Selbstzweifel haben macht mich das zwar nicht schneller, es beruhigt mich doch schon sehr, vor allem vor einem solch schweren Rennen. Wir verabreden uns anschließend für den Abend vor dem Hotel, um gemeinsam zum Race Briefing zu fahren. Nach dem Frühstück packe ich mein Rad aus und drehe eine flotte Runde durch das sonnendurchflutete, südliche Grazer Umland. Hier also rauschen wir morgen früh irgendwo durch, denke ich mir, während ich so dahingleite. Die Tatsache, dass es hier mehr oder weniger total flach ist, lässt mich einen leichten, aber auch schnellen Rennbeginn erwarten. Nach 40 schattenlosen Kilometern und einem leichten Sonnenbrand habe ich dann genug. Abschlußtraining erfolgreich absolviert! Ich fühle mich super und bin heiß auf den Rennbeginn am Sonntag, aber auch weiterhin leicht nervös… Ich gehe nämlich auch weiterhin davon aus, dass bei diesem Rennen praktisch nur Leute mitfahren, die bei den üblichen Marathons hunderte von Plätzen vor mir finishen.

Am frühen Abend starten Marco und ich dann eine kleine Odyssee mit dem Auto zum Race Briefing. Nach kurzer Zeit kommen wir einhellig zu dem Schluss, dass ein Navi auch nur dann wirklich hilfreich ist, wenn man wenigstens das Ziel kennt oder mit anderen Worten, wenn man in Graz weiß, dass man zu einem Schloss muss, ist das noch nicht ganz ausreichend… Wir sind dann doch letztlich pünktlich am Treffpunkt in der Gaststätte „Rudolf Brau“ am Eggenberger Schloss, auch wenn wir eigentlich bereits zu spät wären. Erklärung des kleinen Widerspruchs: das geplante Race Briefing in englischer Sprache fällt aus und das Race Briefing in deutscher Sprache findet eine Stunde später statt. Kurze Zeit ist auch klar warum, denn bei der Akkreditierung angekommen, frage ich natürlich beiläufig nach der Teilnehmerzahl. Antwort: 31. Wow! Eine Familienveranstaltung mit Renncharakter? Als erster Gedanke vielleicht zulässig, aber hier schon einmal vorab: nach 1000 km ist klar, dass das ein krasses Vorurteil war! Bei einer so kleinen Teilnehmerzahl rückt eher eine ganz andere, viel näher liegende Angst in den Vordergrund: 1000 km Solofahrt! Bei nur 31 Fahrern können sich Unterschiede in den Fahrstärken natürlich sofort extrem auswirken. Wenn ich hier zu den schwächeren Fahrern zähle und sich das Fahrerfeld auf den ersten Kilometern bereits stark streckt, werde ich eher früher als später abgehängt. Die vom Veranstalter kalkulierten Marschtabellen wären in diesem Fall für mich utopisch – vor allem in den Flachpassagen. Ich halte es aber auch hier für angebracht, dem Ende des Rennens vorzugreifen und die Bedenken vor dem Weiterlesen zu zerstreuen: Alles wird gut!

Ein Weißbier später geht’s dann endlich los mit dem Race Briefing. 31 Radler harren gespannt der Dinge, die da kommen werden. Tom Kropiwnicki, Gründer und Organisator von Peakbreak, und sein Team stellen sich erst einmal davor. Eines ist schnell offensichtlich: das Team hinter Peakbreak steht dem Fahrerfeld zahlenmäßig kaum nach: Organisation, Streckenmarkierung, Kommentatoren, Mechaniker und natürlich die Streckensicherung von der cbca. Tom holt noch einmal kurz aus, und erklärt, wieso von den ursprünglich angenommenen 207 Startern jetzt nur 31 tatsächlich am Start stehen. Die Geschichte passt wohl im Detail nicht hierher, aber ich glaube, hier müssen sich einige Leute „grobe Unsportlichkeit“ vorwerfen lassen… Zurück zum Sportlichen: Tatsache ist, dass letztendlich alle Anwesenden schwer beeindruckt sind, dass Tom die Sache mit Peakbreak durchzieht – und zwar ohne wenn und aber und ohne Einschränkung in der Qualität. Natürlich gibt es auch enttäuschte Blicke bei einigen Teilnehmern, weil es als einzige Einschränkung aufgrund der geringen Teilnehmerzahl keine Preisgelder gibt. Letztendlich zieht sich aber keiner der Teilnehmer vom Start zurück und auch das darf ich vorwegnehmen: Am Ende von Peakbreak 2008 sind sich aber alle einig, dass das eine top Veranstaltung war, klasse organisiert und durchgeführt, und das, obwohl der Veranstalter hier sicherlich mit nur 31 Teilnehmern voll draufgezahlt hat. Chapeau – Hut ab!

Nach dem Briefing verläuft sich das Teilnehmerfeld schnell, denn immerhin fällt morgen früh um 9 Uhr der Startschuss zur ersten Etappe genau hier an dieser Stelle vor dem Eggenberger Schloss…