Touren

4. Etappe (Madeira 2008)

Ribeira Brava – Serra de Água – Encumeada – Paul da Serra – Ponta do Sol – Ribeira Brava

Der erste echte Einsatz meines gemieteten Seat erfolgt, um die Hochebene Paul da Serra von Ribeira Brava aus zu erobern. Ja, ich gebe zu, dass mein sportlicher Ansatz “ auf der kleinen Insel brauche ich doch keinen Mietwagen“ kläglich gescheitert ist. Die Fehleinschätzung kann ich weder auf meine Erkältung, noch auf das etwas wechselhafte Wetter und auch nicht auf die Tatsache schieben, dass ich definitiv kein Frühaufsteher bin: vor 11 Uhr komme ich aufgrund des klasse Frühstücks nie bei Klenk’s weg. Aber was soll’s: das hier ist ja schließlich ja auch Urlaub. Die Wahrheit ist einfach, daß diese kleine Insel wirklich anspruchsvoller ist als ich gedacht habe. Die „Kartenspiele“ zuhause um diese oder jene Tour zu planen haben einfach die Topografie gründlich unterschätzt.

Hätte ich auf einer digitalen Karte mit guten Höhendaten geplant (gibt es leider von Madeira nicht), wäre mir wahrscheinlich gleich klar gewesen, das Touren um 140 km auf Madeira kurz mal eben genauso anspruchsvoll sind, wie der berüchtigte „Maratona dels Dolomites“ – der ist 138  km und hat 4190  Höhenmeter. Zum Vergleich: eine Tour kombiniert aus Etappe 2 und 3 wie hier beschrieben hätte 133  km und 3800  Höhenmeter. Da kann ich noch so früh aufstehen, aber wenn ich von Caniço aus entlang der Südküste nach Porto Moniz fahre, geht wahrscheinlich auf dem Rückweg, oben auf der Encumeada, schon die Sonne unter. Von da aus hätte ich dann aber noch einiges vor mir, bevor ich das ich ins Bett fallen kann… Wer also die Insel nicht gerade im „Tour de France Stil“ erfahren und entdecken möchte, der sollte sich besser ein Auto mieten. (Anmerkung: die Definition von “ Tour de France Stil“ bleibt jedem selbst überlassen). Damit lassen sich dann auch aus anderen Ecken der Insel gut Touren starten. Meinen Startpunkt Ribeira Brava erreiche ich über die Schnellstraße R101 in kürzester Zeit. Der Weg ist kein Vergleich zur Tour des 2. Tages, denn die R101 ist bis kurz vor Ribeira Brava autobahnähnlich ausgebaut und läuft für Madeira-Verhältnisse fast auf einer Höhe. In Ribeira Brava sollte man sich die Mühe sparen lange nach einem Parkplatz zu suchen, denn Parkplätze sind offensichtlich selbst an einem ganz normalen Werktag und weit außerhalb des Ortes sehr rar. Unten am Strand gibt es ein kleines, sehr günstiges Parkhaus. Für die 6 Stunden Parkzeit waren später gerade einmal 3,50 Euro fällig – da lohnt Suchen kaum. Jetzt aber erst einmal von vorne. Das Thermometer im Auto zeigte irgendetwas um 23 °C. Genial! Ich packe meinen Renner im Parkhaus aus dem Seat und begebe mich nach draußen. Ich bin begeistert: Strahlender Sonnenschein, kaum Wind und strahlend blauer Himmel über dem Meer und den umgebenden Bergketten. Die blanke Temperaturangabe aus dem Auto verwandelt sich unter diesen Eindrücken in ein erstes Gefühl von Sommer. Vom Parkhaus direkt am Meer kann man den Weg Richtung Serra de Água / São Vicente zur Encumeada erst einmal nicht verfehlen. Zunächst muss man nur die ER104 auf dem Weg zurück zur Rapida (VR1) fahren, den man gerade nach Ribeira Brava gekommen ist. Die Straße steigt von der Küste ab zwar bereits an, aber die Anstrengung hält sich erst einmal in Grenzen. Der Aufstieg beginnt heute erst einmal sehr gemütlich. An der Kreuzung zur Rapida behält man den Kurs geradeaus Richtung Serra de Água bei. Auch wenn es immer noch weiter bergauf geht, ist das hier und heute doch endlich einmal recht gut zum einfahren geeignet. Sanfte 3,6 % Durchschnittsteigung führen mich die ersten 7 km nach Serra de Água. Kein Vergleich zum „Häuserkampf“ von Caniço hoch nach Camacha. Bei der Kreuzung kurz vor Serra de Água führt der Weg dann nach links hoch zur Encumeada. Rechter Hand geht die Hauptstraße VE4 an dieser Kreuzun weiter nach Rosário. Dieser Weg unterläuft die Encumeada ganz einfach durch einen 4  km langen Tunnel.

Kleine Anmerkung am Rande: wer eigentlich vorhat, nach São Vicente und die Nordküste zu fahren, für den ist der Weg durch den Tunnel sicherlich die leichtere Alternative zur Encumeada, aber 1) wer will schon durch einen 4 km langen Tunnel radeln, noch dazu bei der tollen Landschaft, 2) keine Ahnung ob man mit dem Rad da durch fahren darf und 3) wer will sich schon nachsagen lassen, er hätte einen der vielleicht schönsten Pässe Portugals einfach “ getunnelt“ – welche Schande! Also links hoch zur Encumeada. Dass heisst in diesem Fall, dass ab hier Schluss ist mit lustig. Moment falsch formuliert! Ich meinte natürlich: “ Ab hier wird’s lustig“ . Das Teilstück von Serra de Água bis zur Passhöhe ist etwa 6 km und kann auf dieser Strecke sich eine durchschnittliche(!) Steigung von 12 % gutschreiben, wobei es nach oben hin noch etwas steiler wird. Es ist kurz nach Mittag und erste Wolken ziehen auf, aber noch ist der Blick klar. Die sagenhafte Berglandschaft um mich herum macht die Steigung zwar nicht flacher, lenkt mich aber doch so sehr ab, dass ich die Passhöhe auf rund 1000 Metern ü. M. in gefühlter Rekordzeit erreiche.

Madeira_2008_285_512_384

Oben am ersten Gasthaus beschließe ich, das erste Zwischenziel des Tages zu feiern, während sich die umliegenden Berge zunehmend in Wolken hüllen. Ich entschließe mich für den inzwischen bewährten Dreisatz aus „Café com Leite“, „Água mineral gaseficada“ und „Poncha“. Das schafft Kraft für den anschließenden Anstieg zur Paul da Serra, der mit seinen 600 Höhenmetern im weitern Verlauf auch nicht zu unterschätzen ist. Die Wolkendecke, die beim Erreichen der Encumeada noch sehr löchrig war ist inzwischen kompakt geworden. Als ich zur Paul da Serra aufbreche, hängen die ersten Wolken nur noch knapp über der Passhöhe. Auf etwa 1100 Meter habe ich den Übergang zum Wolkenmeer erreicht.

Madeira_2008_286_640_480

Übergang ins Wolkenmeer nach der Encumeada

Von da an bewege ich mich erst einmal im nebligen Einerlei. Schade, aber dafür schon wieder  ein Grund mehr erneut nach Madeira zu kommen 🙂 Weiterer Vorteil der nebligen Brühe: man sieht nicht, was noch auf einen zukommt, denn ich habe das Gefühl, die Strecke zieht sich ganz schön. Immerhin bleibt die Steigung jetzt  human und auch die Fahrt durch die Wolken ist nicht unbedingt kalt oder  unangenehm. Dass es nicht kalt ist liegt aber wiederum sicherlich auch an der Tatsache, daß es „so schön“ bergauf geht und damit schließt sich ein  Kreis perfekter Symbiose aller Kletterfreunde unter den Radlern. Und bergab? Tja g’scheid bergab geht es natürlich dann auch irgendwann, aber da kann jeder vor Start der Tour selbst entscheiden zwischen „hart bleiben“ oder „gut ausgerüstet sein“. Aber nicht so schnell: noch bin ich ja auf dem Weg nach oben. Drei kurze Tunnel sind erst einmal zu passieren und für alle die vorhaben, das Ganze andersrum bergab kann ich nur sagen: Vorsicht, die Straßen im Tunnel sind miserabel. Für alle die wie ich hochfahren kann ich wiederum sagen: die Straßenqualität ist wohl eher egal, denn für solche Feinheiten ist man zu langsam. Mit Nebel und Wolken hat man übrigens auf der der feuchten und kargen Hochebene „Paul da Serra“ allgemein sehr häufig zu rechnen.

Madeira_2008_300_959_549

Auch als ich schliesslich den Campo Grande auf ca. 1400 Meter über dem Meer inmitten der Paul da Serra endlich erreicht habe, hüllt sich die Landschaft weiterhin die meiste Zeit in ihr weißes Kleid. Ab und zu jedoch finden ein paar Sonnenstrahlen den Weg durch den Nebel und geben mir den Blick frei auf eine Landschaft, die ich so auf Madeira nach den Eindrücken der ersten Tage nicht erwartet hätte. Auch wenn das Erlebnis hier oben natürlich ohne Nebel schöner gewesen wäre, so verleiht das  Spiel der Sonne mit den Wolken der Landschaft etwas Spezielles und Reizvolles. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die Einsamkeit, denn Autos begegnen mir kaum an diesem Tag.

Madeira_2008_298_1270_598

Hochebene „Campo Grande“: beeindruckende Stimmung bei in den Wolken

Madeira_2008_295_640_480

Madeira_2008_291_640_480

Mitten in der Ebene Campo Grande erscheint dann die Abzweigung links zurück Richtung  Ribeira Brava. Eine kleine Nebenstrße, die ER209 führt über Canhas zurück an die Südküste nach Ponta do Sol. Von dort aus ist es nur noch ein Katzensprung nach Ribeira Brava. Eine tolle Alternative gibt es an dieser Kreuzung sicherlich für alle Frühaufsteher, die 1) ein wenig die Nordküste kennenlernen wollen und 2) die Encumeada auch noch von der Nordseite entdecken und bezwingen wollen. Rechter Hand führt die ER209 an eben besagter Kreuzung auf dem Campo Grande Richtung Porto Moniz nach Ribeira da Janela. 21 km Abfahrt (größtenteils) hinunter zum Meer durch grandiose und einsame Natur (Parque Natural da Madeira) – so zumindest stelle ich mir das bei einem Blick auf die Karte vor, denn auf diesem Weg liegt keine einzige Ortschaft. Von Ribeira da Janela ginge es dann ca. 15 km relativ flach entlang des Meers über Seixal nach São Vicente. Von dort aus hieße es dann noch einmal alle Kräfte mobilisieren: 12  km geht es wieder hoch hoch zur Encumeada bevor man dann in rasender Abfahrt zurück nach Ribeira Brava fliegen darf. Zum Weg den die ER209 von der Paul da Serra hinunter nach Ribeira da Janela nimmt kann ich leider nichts berichten. Das beschriebene Stück von Porto Moniz über Seixal, São Vicente zur Encumeada bin ich jedoch am letzten Tag noch einmal kurz mit dem Auto abgefahren. Diese Strecke findet sich als „Bonus“ am Ende meines Bericht zusammen mit einer  GPX-Datei und einem  Höhenprofil. Vorab: es lohnt sich – allein wegen dieses Streckenabschnitts! Aber zurück zu meinem Rückweg nach Ribeira Brava über Canhas. Auf den ersten 2  km, raus aus der Paul da Serra, wird die Sicht wieder schlechter und noch bevor sich Straße zum Meer hinunter stürzt ist alles um mich herum in dichtesten Nebel gehüllt. “ Na das kann ja heiter werden!“ denke ich mir. Der Spruch hat aber angesichts der trüben Suppe sogar noch etwas Positives… Es geht gleich mal gut los. Bei unter 100 m Sicht tauchen im oberen Teil edr Abfahrt urplötzlich gleich mal wieder 2 dieser miesen Weideroste von der übleren Sorte auf. Das dämpft meinen Abfahrtselan dann doch insgesamt erst einmal etwas. Trotzdem gilt natürlich auch hier: auf keinen Fall kurz vor oder auf diesen  Dingern bremsen! Locker bleiben und geradeaus darüber rollen ist hier angesagt. Am letzten Tag („5. Etappe“) gibt es übrigens die Antwort auf die Frage „kann’s noch schlimmer kommen auf einer Abfahrt?“ . Ja es kann! Nach dem letzten dieser Killergitter (als Kuh würde ich da übrigens auch nicht drüber laufen) geht es in die Eukalyptuswälder der Confrarias. Ab hier heisst es jetzt wirklich die nächsten 10 km bis Canhas volle Konzentration, denn die durchschnittlich(!) 10 % Gefälle auf dieser Piste verlangen wirklich alles an radfahrerischem Können. Ein Hauptgrund dafür ist aber nicht das Gefälle an sich, sondern die Tatsache, dass der Straßenbelag die Bezeichnung Asphalt eigentlich nicht verdient. Bis zum nächsten Ort wird man nach allen Regeln der Kunst durchgeschüttelt. Die mit Rissen übersäte Straße erinnert eher an ein überdimensionales Mosaik. Gerade weil die Straße meine volle Aufmerksamkeit fordert bin ich dankbar, dass es hier auch weiterhin keinen Verkehr hat. Aber wahrscheinlich ist gerade der miserable Straßenzustand der Grund dafür, daß es hier eben keinen Verkehr hat. Wie auch immer, die Abfahrt macht trotzdem einen Heidenspaß und unter etwa 800 Meter lässt man dann, auch wie in den letzten Tagen auch den Nebel und die Wolken über sich. Die Anstrengungen werden belohnt mit einem sagenhaften, freien Blick auf das Meer bei angenehmen Temperaturen. Weiter geht es dann ohne Anstrengung und mit kostenloser Schüttel-Massage – was will man mehr? Im Rückblick würde ich aber an dieser Stelle sagen, dass es wahrscheinlich schlauer ist, diese Tour in umgekehrter Richtung zu fahren. Bergauf sollte die ER209 hoch zum Campo Grande O.K. sein, aber die Abfahrt von der Encumeada nach Ribeira Brava ist sicherlich schöner, weil der Straßenbelag hier wirklich sehr gut ist. Das letzte Stück von Canhas nach Ribeira Brava begleitet mich wieder ein ungetrübter Himmer und strahlender Sonnenschein.

Madeira_2008_301_1276_598

Ich bin mir sicher, daß oben auf der Paul da Serra noch die Wolken hängen, aber hier unten bekommt man das nicht mit. Es ist wirklich kaum zu glauben, daß ich gerade noch im dichtesten Nebel gefahren bin. Von Canhas hinunter nach Ponta do Sol warten weitere 5 km wirklich schöne Abfahrt auf den zuvor durchgeschüttelten Rennradler. Auf den abschließenden Kilometern kann man entweder jetzt schon bis ganz runter bis an die Küste und das letzte Stück flach unten am Meer entlang fahren oder oben auf der ER222 bleiben. Ich entscheide mich für letztere Variante und nehme meinen Abfahrtsschwung noch einmal mit hinein in die nächste Steigung. Auf diese Weise kann ich den Ausblick über der Küste noch etwas länger genießen und umgehe ganz nebenbei die letzten beiden kurzen Tunnel von Ponta do Sol nach Tabua auf der VE3. Bei Tabua ist dann aber auch mein Tagesbedarf an Hügeln und Bergen endgültig gedeckt und ich fahre ganz runter zur Küstenstrasse. Von Tabua aus zeigen meine Karte und der GPS eine Straße direkt entlang am Stand bis Ribeira Brava. Diese Straße ist zwar da, aber leider gesperrt. Die Alternative durch den etwa 2 km langen Tunnel ist allerdings weniger einladend. Ribeira Brava ist dierkt vor der Tunneleinfahrt aus bereits zu erkennen und einige Fußgänger, die die Absperrung passieren und Richtung Ribeira Brava laufen sprechen durchaus dafür es einmal zu probieren. Ein kurzes Stück fahre ich auf dem Gehweg und ein wenig durch den harten Sand. Das letzte Teilstück geht dann noch etwas über Schotter, aber selbst für ein Rennrad ist das locker machbar, vor allem wenn man das Ziel schon vor Augen hat. Die letzten Kilometer zum Ziel am Kronplatz beim Giro d’Italia sollten 2006 schließlich auch über eine Schotterpiste führen… und hier auf Madeira schneit es nicht einmal im Gegensatz zum Giro 2006 am Kronplatz. Nach ca. 52 km und 1800 Höhenmetern erreiche ich am Ende der gesperrten Küstenstrasse direkt wieder das Parkhaus und damit den Ausgangspunkt des Tages.

  • Karte (Rechtsklick auf Download und „Ziel speichern unter…“ um die gpx-Datei herunterzuladen):

volle Distanz: 51896 m
Gesamtanstieg: 1793 m
Download

  • Detailliertes Streckenprofil (klicken zum Vergrößern):

p_madeira_2008_etappe_4_140129